Wir haben unsere Geschichte in vier Episoden unterteilt. Jeden zweiten Tag veröffentlichen wir eine Episode. Den Anfang macht hiermit Teil 1: Erinnerungen an mein Rad.
von Christian Kulas
Es war 2020. COVID-19, Home Office, viel Zeit zu Hause verbringen. Doch glücklicherweise stand mal wieder eine Tour an. Mein Bikepacking-Rad hatte gerade erst ein neues GRX-Schaltwerk bekommen und war bereit. Diesmal sollte es den Rhein herunter zum Bodensee gehen. Erste Übernachtung: Worms, bei meiner Mutter. Dann Kehl, Waldshut-Tiengen, Reichenau, Wildberg. Es war eine lange Tour, aber nach so vielen Touren war alles an diesem Rad auf mich abgestimmt. Von Kurbellänge bis hin zum kleineren Kettenblatt. Das wird mit 36-Zähnen in dieser Kombination nicht von Shimano unterstützt, hat mich aber am ein oder anderen Anstieg schon gerettet. Ja, selbst für die Zeltstangen hat sich ein perfekter Platz unterhalb des Oberrohrs gefunden. Doch leider sollte es meine letzte Tour mit diesem Rad gewesen sein.
WO IST MEIN RAD?
Ein typischer Sonntag. Ich ging zum Joggen, im Hausflur, wo eigentlich mein abgeschlossenes Rad steht, klaffte eine seltsame Lücke. Ich hatte das Rad oft zum Schrauben in der Wohnung, davon ging ich auch in diesem Fall aus. Doch zurück in der Wohnung stellte ich fest: Es ist weg! Ich holte die Polizei. Man hofft natürlich, dass Fingerabdrücke genommen und eine umfassende Ermittlung eingeleitet wird, doch außer einer formellen Anzeige passierte: Nichts.
Erst als mein Rad weg war, wurde mir klar, wie sehr ich eigentlich daran hing. Vorher war es für mich ein Werkzeug, doch in Wirklichkeit hatte ich so viel Zeit und Liebe investiert. So viele Touren, Pässe und ja, auch Stürze. Es war kein besonders schönes Fahrrad, aber jede einzelne Schraube wurde von mir selbst angezogen. Es war meins und nun hat es irgendein {setze hier eine beliebige Beleidigung ein}, der wahrscheinlich erst einmal Kettenöl auf meine gewachste Kette sprüht. Verdammt! 🙁
KANN ICH ES WIEDERBEKOMMEN?
Ich postete in Stolen-Bike-Gruppen und schaute auf Facebook Marktplätzen. Ich richtete sofort Push-Benachrichtigungen bei eBay-Kleinanzeigen ein – selbst für Teile des Rades. Ich sprach die Nachbarn wegen eventueller Video-Aufnahmen an. Es gab sogar welche von der Pizzeria nebenan, doch die wussten nicht, wie sie auf die Daten zugreifen konnten und bis deren Elektriker die Daten herunterlud, waren sie bereits überschrieben.
Ich beschäftigte mich eingehender mit dem Thema Fahrraddiebstahl und sprach auch mit Polizisten darüber. Ein paar Fakten:
- Über 700 Fahrräder werden jeden Tag allein in Deutschland geklaut, insgesamt mehr als 260.000 Fahrräder 2020. Die Dunkelziffer liegt weit höher, weil der Diebstahl oft nicht angezeigt wird. Im selben Zeitraum wurden etwa fünf Millionen Räder verkauft.
- Die durchschnittliche Schadenssumme steigt jedes Jahr und lag 2020 bei 730 Euro.
- Die Aufklärungsquote liegt bundesweit bei etwa 10%, in Städten wie Frankfurt am Main eher bei 5%.
- Die aufgeklärten Fälle ergeben sich – zumindest in Frankfurt – zufällig. Jemand wird angehalten, weil er beispielsweise bei rot über die Ampel fuhr und dabei wird das Rad kontrolliert.
- Angezeigte Fälle landen umgehend im Aktenschrank und werden nicht weiterverfolgt. Das Thema Fahrraddiebstahl gilt weithin als Bagatelle, es gibt weder seitens der Politik noch der Behörden wirkliche Bestrebungen zur Eindämmung. Es ist zwar bekannt, dass eBay-Kleinanzeigen und Facebook-Gruppen im großen Stil zur Hehlerei genutzt werden, aber niemand tut etwas dagegen.
- 90% der Diebstähle sind spontaner Natur. Die meisten passieren aus Gründen der Beschaffungskriminalität.
- Selbst die schwersten Bügelschlösser können innerhalb von Sekunden geknackt werden. Kann ein Dieb nicht in dieser Zeit mit dem Rad verschwinden, lässt er es zurück.
Die Chancen sein Rad zurückzuerhalten, sind also ziemlich schlecht. Trotz meines ganzen Aufwandes fehlt auch bis heute jede Spur von meinem. Ein Gedanke setzte sich in meinem Kopf fest: Wie kann ich so etwas in Zukunft vermeiden?